Sobald wir auf pakistanischem Boden waren, wechselte der Straßenbelag des Karakorum Highway von perfekt auf hundsmiserabel, kein Fleckchen Asphalt mehr sondern nur noch wüster Schotter, der unseren Bus lebhaft durch rüttelte. Doch auch die Landschaft veränderte sich schlagartig! Die sanfte Hochebene Chinas lag hinter uns, wir fuhren nun durch das wilde und schroffe Karakorum Gebirge, auf engen und kurvenreichen Straßen schlängelten wir uns durch die Schluchten und wunderten uns, dass der Bus bei diesen Strapazen nicht schlapp machte.
Nach wildem Geschüttel erreichten wir am Nachmittag Sost, wo wir von einem superfreundlichen und gut gelaunten Immigration Offizier empfangen wurden, der uns das Visa on Arrival in den Pass klebte bevor wir überhaupt den Antrag ausgefüllt hatten! Bedauerlicherweise kam mir während des Prozederes meine große Essenstüte abhanden, was in Anbetracht meines Hunger und Durstes ziemlich unerfreulich war. Den Beamten war das so peinlich und unangenehm, dass es mir schon leid tat. Der Immigration Officer kam sogar mit uns in den Bazaar um die Augen nach der Tasche auf zu halten, aber es war natürlich vergebens.
Sost ist ziemlich trostlos, noch dazu bei dem trüben Wetter – die Wolken hingen tief und es nieselte - , das Guesthouse war sehr einfach, das Essen naja und kurzzeitig dachte ich mir schon, was haben wir da bloß getan?! Doch die Menschen waren - bis auf den Dieb - so freundlich, zuvorkommend und herzlich dass es eine wahre Wohltat war. Obwohl ich dem Augenschein nach die einzige Frau in dem Ort war (!) gab es keine unangenehme Situation.
Am nächsten Morgen ergab sich eine Mitfahrgelegenheit beim Händler Sherif der sich als sehr interessanter Mann herausstellte: intelligent, bescheiden, Atheist (!), ehemaliges Mitglied der kommunistischen Partei Pakistans, sozial engagiert und ein Herz aus Gold, wie sich beweisen sollte. Wir erreichten im Regen den Atabad See, welcher im Frühjahr 2010 durch einem gigantischen Erdrutsch entstanden war.
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Farbenprächtige Boote an einem grauen Tag |
Die Überfahrt war ziemlich feucht, zum Glück aber nicht zu kalt und die Szenerie wunderschön, wobei an einigen Stellen aus dem Wasser heraus ragende, abgestorbene Bäume an die zurück liegende Katastrophe erinnerten. Das südliche Ende des Sees ist eine wilde Angelegenheit, mit voll beladenen Traktoren dicht an dicht gedrängt auf einem schmalen, steilen Weg. Auch hier wieder, alle Arbeiter freundlich und sehr oft wurden wir auf Englisch angesprochen: gerade im Norden ist der Bildungsgrad sehr hoch, viel höher als im Rest des Landes.
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Knochenarbeit unter ständiger Steinschlaggefahr |
Beim Fotografieren entdeckte ich einige große Motorräder auf einem der Boote, BMW, Honda u.a. Es stellte sich heraus, dass die fünf einheimischen Besitzer auf dem Weg zurück nach Lahore waren, wobei sich einer davon die Schulter gebrochen hatte und dessen Africa Twin würde nun auf einem Lastwagen die Reise antreten müssen. Es versetzte mich in Begeisterung mal wieder so richtige Maschinen zu sehen und während dem Fotografieren erzählte ich diesem Pakistaner ganz nebenbei, dass der Bernd vor vielen Jahren ebenfalls eine Africa Twin besessen habe und so gerne damit gefahren sei.
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Mit vereinten Kräften gelingt alles - auch ein 250kg schweres Motorrad zu entladen |
Ich hatte mir ja gar nichts dabei gedacht, doch Zahid, der Verletzte, hatte sogleich aufgehorcht und fragte ob der Bernd nicht die Maschine die Passage über den neu entstanden Damm fahren wolle welcher extrem steil ist, bis zu der Stelle, wo die Lastwägen ankommen und das Motorrad aufgeladen werden könne. Bernd war einverstanden und gemeinsam mit Zahid fuhr ich die Strecke, die eher an eine Achterbahn als eine Straße erinnerte, im Kleinlaster – extremer Nervenkitzel inklusive!!
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Bernd auf dem Weg nach oben! |
Der Bernd hatte sich damit jedoch seine Sporen und Respekt verdient und wurde von den Bikern gefragt, ob er denn nicht auf der Africa Twin nach Gilgit fahren wolle. Da waren wir beide sofort Feuer und Flamme, durch diese fantastische Landschaft mit dem Motorrad, ein Traum! Nicht allerdings die Straße, but what to do? Meistens Schotter, aber auch Sand und Schlamm und kleinere Flussdurchquerungen.
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Auf geht's! |
Unser Gepäck wurde im Kleinlaster bei Zahid verstaut, in welchem auch Sherif, der Händler mit seiner Fracht saß. In Karimabad traf Zahid dann auch kurz nach uns ein, doch in einem anderen Auto, da der Kleinlaster liegen geblieben war. Während wir im besten Hotel am Ort zum Essen eingeladen wurden, blieb Sherif, den wir bis dahin nicht einmal 24-Stunden kannten, bei der Reparatur dabei, passte auf unser Gepäck auf und kam dann mit einer Stunde Verspätung beim Hotel an.
Dann ging es weiter nach Aliabad, wo Sherif zu Hause ist und wo er für Zahid ein Auto mit Fahrer organisierte, welches ihn und unser Gepäck nach Gilgit bringen sollte. Ohne jeden Eigennutz hatte dieser Mann sowohl für seinen Landsmann als auch Gäste seines Landes sich eingesetzt und viele Stunden geopfert – und das alles nach einer anstrengen Reise von Kashgar mit allen seinen Kisten! Wir fühlten uns wie berauscht vor Glück...
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Wunderschönes Hunza-Tal |
Zahid vertraute uns so sehr, dass er uns vor fahren ließ, damit wir nicht ständig von der Staubwolke des Autos eingehüllt werden, was natürlich zu noch mehr Fahrspaß verhalf. Unter uns rauschte der Fluss und beim hinauf blicken hatten wir traumhafte Sicht auf schneebedeckte Berge. Als das Licht milder wurde und wir auf einem Straßenschild sahen, dass es immer noch 55km bis Gilgit sind realisierten wir aber, dass wir wegen der extrem schlechten Straße viel langsamer voran kamen als es uns erschien. Das bedeutete wir würden mit so wenig Pausen wie möglich durch fahren müssen, damit wir nicht in die Nacht kommen: bei Dunkelheit auf dieser schlechten und kurvigen Strecke unterwegs zu sein wäre zu gefährlich. Dunkel wurde es dann dennoch, rechter Hand sahen wir bereits die Lichter von Gilgit doch nirgends ein Schild oder eine Brücke über den Fluss!
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Auf dem Karakorum Highway - fahren mit Aussicht! |
Schließlich war es stockfinster doch auf den umliegenden Bergrücken erschienen immer mehr flammende Lichter, mit Feuer geschriebene Worte in Urdu die mich in ihrer Ausstrahlung an die Herz-Jesu-Feuer erinnerten, die ich (nur) aus Tirol kenne. Es war eine magische Stimmung, die schwarze Nacht, in welcher goldene Worte flackerten soweit das Auge sehen konnten.
Dann erreichten wir Sultanabad und die ganze Straße war gesäumt mit aus Glasflaschen und Dochten selbst gebastelten Petroleumlampen. Der ganze Ort war ein Lichtermeer, es roch nach Räucherstäbchen und Kracher explodierten um uns herum. Später erfuhr ich dann, dass dies die Nacht des Pandra Shabaan (auch Shab-e-Baraat genannt) war, des muslimischen Lichterfestes: die Nacht in welcher Allah den Gläubigen seine besondere Gnade erweist - was für eine Ankunft!
Doch der Weg hinüber nach Gilgit ist für uns nicht zu finden, ratlos stehen wir an der unbeleuchteten Straße, es ist mittlerweile acht Uhr abends; Zahid ist irgendwo hinter uns und wir wissen weder seinen Nachnamen, noch seine Handy-Nummer! Der einzige Anhaltspunkt ist das Hotel, wo wir uns treffen wollten, falls wir einander verlieren. Ein Auto mit Blaulicht hält vor uns, raus springt ein junger, sympathischer Kerl der uns in gutem Englisch anspricht, wo wir denn hin wollen und ob er uns denn helfen könne? Zum Serena Hotel müssten wir - kein Problem, er fährt uns voraus! Durch die pakistanische Nacht, durch riesige und tiefe Wasserpfützen geht es und wieder über wildes, unebenes Terrain, in Kurven entfernen wir uns auf unbeleuchtetem und holprigem Gelände von der Stadt – wir fahren in die entgegen gesetzte Richtung! Ein etwas flaues Gefühl taucht in mir auf: die könnten uns überall hin führen... Doch die ausschließlich guten Erfahrungen der letzten 24 Stunden und allgemein mit Pakistan helfen mir, ruhig zu bleiben und darauf zu vertrauen, dass der heutige Tag ein gutes Ende nehmen wird.
Und tatsächlich: nach ca. 20 Minuten erreichten wir die Stadt und bald darauf auch das luxuriöse Hotel. Nasir verabschiedete sich strahlend von uns und zum Abschied gab er uns noch mit, wenn wir irgendwas bräuchten, wir sollten uns nur melden, sein Dad arbeitet bei der Immigration – Beziehungen sind alles in diesem Land!
Fünf Minuten später tauchte ein ebenfalls strahlender und sehr erleichtert wirkender Zahid auf und gemeinsam fuhren wir zu seinen weitläufigen Verwandten. Dort wurde trotz später Stunde von den Frauen des Hauses sofort zu kochen angefangen und zwei Stunden später gab es palak (Spinat) mit gekochten Eiern, Reis, chicken korma, Salat, sabzi (Gemüse), chapati - und alles super-super-lecker.
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Gul, praktische Ärztin |
Und gleich wieder hatten wir unglaubliches Glück gehabt: wir waren in einer fortschrittlichen Mittelschichts-Familie gelandet, in der alle sieben Kinder studiert haben – davon fünf Frauen! Gul und Sana, die noch zu Hause lebten, waren schnell wie Schwestern für mich, zuvorkommend aber nicht devot, mit flotten Sprüchen auf den Lippen und sehr herzlich. Und Ihre Mutter, die ich gemäß subkontinentaler Tradition auntie (Tantchen) nenne, hat mich ganz besonders in Ihr Herz geschlossen – und ich sie. Gemeinsam mit unserem neuen Freund blieben wir ein paar Tage, genossen den Blick auf den Rakaposhi, den schönen Garten mit Feigen- und Granatapfelbäumen und Rosenbüschen und natürlich die neuen Bekanntschaften.
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Mit Auntie (Lehrerin) und Sana (BWLerin) |
Zahid beschwörte uns, ihn in Lahore zu besuchen und nachdem er es innerhalb von zwei Tagen ca. 20x wiederholt hatte waren wir uns sicher: das ist nicht nur pakistanische Höflichkeit, der will wirklich, dass wir kommen! Eigentlich hatten wir dieses Mal nur ganz im Norden bleiben wollen, wo die fantastischsten Berge der Welt zu finden sind.
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Bernd und Zahid |
Doch dann entschlossen wir uns, der Einladung in den grünen, subtropischen Punjab zu folgen und boten Zahid an, ihm das Motorrad die gut 1000km in den Süden zu fahren. Und das nahm er auch begeistert an.
48 Stunden in Pakistan und bereits waren alle unsere (vagen) Pläne über den Haufen geworfen: wir hatten neuen Freunde, ein Motorrad zum Erkunden der Berge und eine Einladung nach Lahore.
Nun stellt sich die Frage: kann es noch besser werden?
Fortsetzung folgt!
Danke Susanne - so eine schöne Geschichte mit Bildern wie von einem anderen Stern!!! Ich schick euch typisch österreichisch Bussis und Grüß Euch Gott!
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