Die tibetischen Gebiete und hohen Berge hinter uns lassend, erreichten wir per Bus Lanzhou, die Hauptstadt der Provinz Gansu, die nicht gerade mit Charme aufwarten kann. Vor der Zimmersuche ging es sofort zum Bahnhof, wo mir der erste Kampf um chinesische Zugtickets bevorstand: mit ca. 1000 Chinesen stand ich eine Stunde an einem der 17 Schalter an bevor ich die Auskunft „meiyou“ (bedeutet: „gibt es nicht“ einer der häufigsten Erwiderungen in China und der gefürchtetste Satz unter Reisenden) bekam – die gewünschten Tickets für den nächsten Tag gab es nicht, da im ganzen Land die Hauptreisezeit begonnen hatte. Doch zu meinem Glück hatte ich eine Bahnbeamtin erwischt, die sowohl freundlich als auch motiviert war und ihre paar Brocken Englisch zusammen kratzte und in Kombination mit meinem Mandarin und dem goldenen Buch gelang es, zwei Tickets in der besten Klasse für den nächsten Tag zu erwerben.
Die Zimmersuche erwies sich als schwierig, da die günstigen Hotels keine aliens – ja, das ist die offizielle Bezeichnung für Ausländer in China! - nehmen dürfen was dazu führte, dass wir im 3-Sterne Hotel am Bahnhofsplatz eincheckten: riesiges Foyer, dicke Teppiche, weiches Bett, schönes Bad und eigener Internetanschluss im Zimmer!
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Blick von unserem Zimmer im 21.Stock auf den Bahnhofsplatz |
Was für ein Genuss nach den vielen Tagen in der extrem einfachen Unterkunft in Langmusi. Und das alles für Y 180 (€ 19)...
Am nächsten Abend ging es luxuriös weiter, im sogenannten Soft-Sleeper, was unserem Schlafwagen 1.Klasse entspricht. 15 Stunden später waren wir in Dunhuang, einer Oasenstadt am Rande der Taklamakan, angekommen. Zu unserer großen Überraschung und Freude war das von uns angesteuerte Guesthouse ein absoluter Glückstreffer: es lag etwas außerhalb der Stadt, inmitten von Obsthainen und direkt dahinter ragten bereits die mächtigen Sanddünen der Taklamakan in den Himmel.
Die Besitzer waren sehr herzlich, auf den Bäumen um uns herum waren die Aprikosen/Marillen reif und von den verschiedensten Menschen bekamen wir ständig welche in die Hand gedrückt oder pflückten sie auf unseren Spaziergängen entlang der Wüste direkt vom Baum während uns die Kamele entgegen kamen, die mit ihren Besitzern von Ausflügen zurück kehrten. Doch auch in der Stadt herrschte eine sehr entspannte, gelassene Atmosphäre, die wir in dieser Art von China noch nicht kannten. Kurzum: wir fühlten uns rundum wohl und genossen unseren Aufenthalt sehr!
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Auf den Dünen der Taklamakan |
Vielleicht war es gerade die ländliche Idylle die uns zu dem Entschluss brachte, unsere nächsten Ziele zu überspringen. Denn die Übernachtungsmöglichkeiten wären wieder in gesichtslosen Städten und die Sehenswürdigkeiten außerhalb – auf mangelnde Atmosphäre hatten wir einfach keine Lust mehr. Zudem befanden sich unsere Freundinnen Jüte und Dörthe bereits in Urumqi und wir hatten so viel Spaß miteinander gehabt, dass es sehr verlockend war die beiden schon bald wieder zu sehen.
Mit Zugtickets hatten wir diesmal kein Glück, alles auf Tage hinweg ausgebucht, somit blieb nur der Sleeper-Bus. Wie es der Name schon suggeriert sind dies Busse, in denen man schlafen kann. Oder könnte. Kommt auf die Straßenbeschaffenheit an und die eigene Körperlänge. Denn diese Busse sind in drei Parallel-Reihen mit Stockbetten ausgestattet, welche allerdings für den Standard-Chinesen von maximal 1,65m ausgelegt sind und für uns Riesen das Schlafen nur in Embryonal-Stellung möglich macht.
Und die Straße war mal wieder eine der chinesischen Großbaustellen... Fünf Stunden lang quälte sich unser Fahrzeug über rüttelige Schotterpisten und um Schlaglöcher herum. Die Nachtluft war erfüllt von dicken Staubschwaden, welche die Sicht erschwerten und die entgegen kommenden LKWs und Busse tauchten mit ihren Scheinwerfern wie aus dem Nebel aus. Die Stimmung war düster und trostlos und Bernd verglich die Szenerie sehr treffend mit Mordor aus Herr der Ringe.
Endlich! Um Mitternacht ein Stopp in der kühlen Nachtluft der Wüste, der Staub liegt hinter uns und die Sterne funkeln deutlich zu uns herab. Und vor uns liegt die Mautstation des Highways – das Schlimmste ist vorüber.
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Uigurische Mädchen in der Altstadt Kashgar |
Nach 17 (anstatt den angekündigten 12) Stunden Busfahrt erreichen wir ziemlich gerädert die Busstation von Urumqi. Und erst einmal scheint es nicht möglich, ein Taxi zu finden, das uns zum Guesthouse bringen will! Entweder, die chinesischen Fahrer wissen nicht, wo es ist, oder die uighurischen können kein Mandarin lesen. Oder sie sind voll. Völlig erschlagen von der Reise, hungrig und nervös, weil ich die Vagabundinnen nicht erreichen konnte, bringt mich meine steigende Verzweiflung zu einem Rumpelstilzchen-Auftritt. Bringt natürlich auch nichts, aber irgendwann ist auch meine Geduld erschöpft! Endlich erwische ich mal wieder ein leeres Taxi, dessen Fahrer mich auf Russisch anspricht. Auch gut! Ich bin sehr erleichtert und krame meine vor vielen Jahren erlerntes Russisch aus den hintersten Winkeln meines Gedächtnisses und obwohl auch dieser Uighure nicht weiß, wo genau wir hin wollen erklärt er sich bereit, sich mit uns auf die Suche zu machen.
Urumqi ist die Haupstadt Xinjiangs, der westlichsten Provinz Chinas und Heimat der Uighuren – ein ebenso besetztes Land wie Tibet und genauso brutal unterdrückt. Nur leider fehlt diesem Volk der prominente Fürsprecher, insofern ist bei uns im Westen nicht so viel darüber bekannt. Die Stadt liegt in Grenznähe zu Kasachstan und Kirgisien deswegen sind die russischen Sprachkenntnisse bei den Bewohnern nicht zu sehr überraschend. Nichtsdestotrotz bewundere ich wie unser Fahrer bei der Herbergssuche scheinbar mühelos zwischen Uighurisch, Mandarin und Russisch hin und her wechselt!
Endlich haben wir das Guesthouse gefunden, wo wir von Jüte und Dörthe in Empfang genommen werden, die uns schon Zimmer reserviert haben – ein freudiges Wiedersehen!
In der modernen Stadt genießen wir die Annehmlichkeiten, die sie zu bieten hat, den gigantischen und gut sortierten Supermarkt, die Croissants der Bäckerei und westliches Essen: die besten Spaghetti Carbonara, die ich je aß, gibt es im Restaurant Fubar in Urumqi!
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Mia |
Eineinhalb Tage später heißt es wieder Zug fahren: 25 Stunden nach Kashgar liegen vor uns. Ich fahre wirklich gerne Zug, aber das ist echt eine lange Fahrt! Wir sorgten schon dafür, dass es uns gut geht, waren ausgerüstet mit allerhand Leckereien, Musik, Hörbüchern, Filmen – und natürlich angenehmer Begleitung.
Ankunft in Kashgar – und wir sind im Orient! Während Urumqi eindeutig von Han-Chinesen dominiert wird, ist Kashgar durch und durch von den muslimischen Uighuren geprägt. Die Menschen haben runde Gesichter mit Mandelaugen, die Frauen tragen bunte Kopftücher im Grace-Kelly-Stil oder aber am Hinterkopf über den Haarknoten gebunden, die Kleidung ist Körper bedeckend aber doch oft sehr Figur betont und die Stoffe leuchten in allen Farben, schimmern auch gerne mit Pailletten bestickt.
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Modebewusste Marktfrau |
Im Bazaar herrscht lebhaftes Gedränge, die durch die Gassen tönende Musik klingt warm, melancholisch und berührt sofort das Herz, wir fühlen uns wie in Istanbul. Denn Uighurisch gehört zu den Turksprachen und in den nächsten Tagen fühle ich mich oft an meine herzlichen türkischen Freun-dinnen daheim erinnert.
Kashgar war immer berühmt für seinen Sonntagsmarkt, auf welchem man alles für den täglichen Bedarf erhalten kann: Kopftücher, Trockenfrüchte, Bettdecken, Geschirr, Kleidung, Obst... alles was das Herz begehrt! Doch dieser wurde vor ein paar Jahren in überdachte Hallen umgesiedelt, findet nun täglich statt und wirkte in seiner Übersichtlichkeit und mit nur wenigen Besuchern für uns ziemlich unspektakulär.
In einem winzigen Kaffee unterhalten wir uns mit dem sympathischer Besitzer – der wie so viele Menschen in Kashgar sehr gut Englisch spricht - und erfahren von einem Markt außerhalb der Stadt, der am nächsten Tag stattfindet.
Als wir vier am nächsten Morgen in Yingostan ankommen stellt sich wieder die Frage: wo ist der Markt? Doch wir brauchen nur den Bauern folgen, die ihre Schafe durch die Straße treiben, und schon sind wir da.
Es ein einfacher Dorf-Markt - und er ist wunderbar! Auf riesigen Töpfen wird gekocht, im Lehm-Ofen Brot gebacken, von der Sonne durch eine Plane geschützt rasiert der Barbier Köpfe und stutzt Bärte, in einer anderen Ecke beschlägt der Hufschmied die Hufe eines Esels. Die Menschen freuen sich offensichtlich über unseren Besuch und bedanken sich bei uns, wenn wir sie fotografieren.
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Uighurischer Hufschmied |
Ein paar Tage und viel Lachen und Ratschen später heißt es wieder Abschied nehmen von Jüte und Dörthe, die sich nach Westen auf den Weg nach Kirgisien machen, während wir dem Karakorum Highway Richtung Süden folgen werden.
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Powerjump mit Jüte und Dörthe |
Über ein Hochplateau, von Flüssen durchzogen und grauen Bergen begrenzt, steigt die Straße langsam an und bringt uns nach Tashkorgan, im Dreiländer-Eck mit Pakistan und Tadjikistan gelegen. Auch hier gestaltet sich die Zimmersuche wieder schwierig und da der Ramadan in zwei Wochen beginnt und Reisen in Pakistan eventuell etwas ungemütlich machen wird, beschließen wir gleich am nächsten Tag weiter zu ziehen.
Da die Grenze zwischen beiden Ländern auf dem 4700m hoch gelegenen Kunjerab Pass liegt, welches unakklimatisiert zu Höhenkrankheit führen kann, werden die Grenzformalitäten in den nächstgelegenen Städten abgewickelt, auf der chinesischen Seite also in Tashkorgan, auf pakistanischer in Sost. Somit dauert es 230 km, bis man offiziell wieder in das nächste Land einreist! Dies ist wohl auf den Landweg gesehen einzigartig.
Unsere Mitreisenden im Bus waren überwiegend Pakistanis, viele Händler aber auch ein paar in Urumqi Medizin studierende Lahoris , die das elterliche Geld fürs Flugticket verfeiert hatten und nun den langen, beschwerlichen Überland-Weg antreten mussten, sowie ein paar Chinesen. Ich war die einzige Frau – und das sollte sich auch für längere Zeit nicht ändern!
Doch die Stimmung im Bus war gut, die Männer allesamt freundlich, aufgeschlossen, respektvoll und ich genoss die ersten Anzeichen, dass wir uns dem indischen Subkontinent näherten: das altmodische Englisch im weichen Singsang gesprochen, die Bollywood-Klingeltöne die von den Handys ertönten und die runden, braunen Augen in den Gesichtern um mich herum! Der Gedanke, die Kontrolle und Einschränkung, die den Alltag in China durchdringt, hinter mir zu lassen erfüllte mich mit großer und ungeahnter Vorfreude. Pakistan hat weiß Gott genug schwerwiegende Probleme, doch zumindest muss sich kein normaler Bürger ständig Gedanken machen, was er zu wem sagen darf!
Immer weiter schraubte sich die Straße hinauf, bis wir den Pass und somit die Grenze, nur durch ein einsames Tor auf der Ebene gekennzeichnet, erreichten. Die Gesichter der Männer um uns herum leuchteten auf und ein gemurmeltes „Pakistan zindabad“ („Hoch lebe Pakistan“) ging durch den Bus. Und in meinem Herzen stimmte ich ein...
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Auf dem Kunjerab Pass |
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