Mit dem Motorrad durch die Berge und zu Gast in Lahores Highsociety - oder was Gastfreundschaft auf pakistanisch bedeutet


Mit dem Motorrad die Täler rund um Gilgit zu erkunden, darauf freuten wir uns sehr! Erstes Ziel sollte Skardu sein, Ausgangspunkt für Touren und Expeditionen in der Karakorum Region, zu mächtigen Bergen wie Gasherbrum (I und II), Broadpeak, Masherbrum und natürlich dem K2, dem zweit höchsten Berg der Welt.

Für die 30km auf dem Karakorum Highway brauchten wir zwei Stunden: der Straßenzustand ist so grottenschlecht, für Mensch und Maschine – ob Truck, Auto oder Motorrad – die pure Qual, dass wir sehr froh waren, als wir in das Indus-Tal abbiegen konnten. In einer engen Schlucht drängt sich der Fluss grau und schäumend hindurch, Stromschnellen wirbeln. An der nördlichen Seite führt die einspurige Straße entlang, überwiegend schön geteert, was für eine Erleichterung nach der vorigen Tortour.
Entlang des Indus
Ein Spaziergang wird die Fahrt dennoch nicht: die Sonne steht hoch am Himmel und strahlt unbarmherzig ins Schattenlose Tal, heizt die Baumlosen Felsen auf und gibt uns das Gefühl, in einem Glutofen zu fahren. Es sind einige Trucks unterwegs, die auf der engen kurvigen Straße nur sehr langsam vorankommen und somit überholt werden müssen. Hätte ich nicht schon gewusst – und im wahrsten Sinne des Wortes: erfahren – dass der Bernd ein begnadeter und umsichtiger Fahrer ist, ich wäre an diesem Tag 1000 Tode gestorben! Überholvorgang, vor uns eine abschüssige Linkskurve (in den Kurven war der Straßenbelag am schlechtesten und gerne sandig), direkt vor und unter uns der Indus: wenn in diesem Moment die Bremsen versagen, wir über die Kuppe fliegen und den Sturz auf wunderbare Weise überleben sollten würden wir spätestens vom Fluss an den Felsen zermahlen werden. Wunderschöne, grausame Naturgewalten! 

Auf steilen Hängen auf der anderen Flussseite sahen wir immer wieder grüne Fleckchen, wo Menschen sich durch ausgefeilte Bewässerungssysteme ein bisschen Land erobert haben und Landwirtschaft betreiben. Ganz isoliert leben diese kleinen Gemeinschaften, keine Straße, keine Brücke führt dort hin, einzig das in 50m Höhe über den Fluss gespannte Eisenkabel, an dem eine kleine Kabine hängt und in welchem Güter aber auch Personen hinüber gezogen werden, ist die Verbindung zur Außenwelt.

Wir nähern uns immer mehr der Line of Control, der Waffenstillstandslinie zwischen Pakistan und Indien, die über den weltweit höchsten Kriegsschauplatz führt: auch 60 Jahre nach der Unabhängigkeit von England gibt es noch keine Lösung für Kaschmir, welches zwischen beiden Staaten aufgeteilt wurde. Im Juli 2011 war alles ruhig, nur die vielen Militär Checkpoints zeigten uns an, dass wir in einem speziellen Gebiet unterwegs waren.

Gegen Abend öffnete sich das Skardu Tal vor uns in welchem der Indus sich zahm und friedlich wie ein Spiegel ausbreitet, nichts von seiner ungeheuren Kraft verrät, die er flussabwärts zeigt. 
Das Skardu-Tal im Abendlicht
Am nächsten Tag wollten wir gleich hinauf zu den Deosai Plains, eine auf über 4000m hoch gelegene Grasebene, von Flüssen durchzogen. Kurz nach dem türkis-blauen Satpara See und nachdem wir die Nationalparkgebühr gezahlt hatten, starb uns in einer steilen Kurve die Maschine ab. Und sprang nicht mehr an. Und uns kam auf einmal der Gedanke, das es vielleicht doch keine so gute Idee gewesen war, mit einem fremden Moped, ohne Handbuch oder Werkzeug, ohne jegliche Ersatzteile auf Tour in die entlegensten Täler Pakistans zu gehen!
Glücklicherweise sprang sie beim bergab rollen lassen wieder an und so schafften wir es zurück nach Skardu, wo der Bernd erst alleine, dann mit einer Mechaniker-Crew die Maschine auseinander nahm und den Fehler suchte. Der hatte sich in der Technik gut versteckt und brauchte viele Arbeitsstunden, bis er gefunden war. 
Zu den Deosai Plains wollten wir dann jedenfalls nicht mehr hoch, vor allem auch, weil dort gerade Straßenbauarbeiten im Gange waren, und die Strecke zur Grundierung mit scharfen Felsbrocken ausgelegt wurde – und Reifenflickzeug hatten wir ja auch keines!

Nach ein paar Tagen machten wir uns auf den Rückweg nach Gilgit und fuhren extra bei Sonnenaufgang los, damit wir nicht wieder die Gluthitze des engen Tales erdulden müssten. Es tröpfelte noch ein wenig, in der Nacht hatte es geregnet, doch die Morgenstimmung war zauberhaft. Weniger zauberhaft war allerdings der Zustand meines Verdauungstraktes, der mich seit dem gestrigen Abend verhäuft die Toilette aufsuchen ließ und mich ansonsten mit Bauchkrämpfen plagte.

Zuerst schien unser Plan aufzugehen, wir kamen gut voran. Doch nach 2 ½ Stunden geht nichts mehr: der nächtliche Regen hatte die Straße unter spült und zu einem Erdrutsch geführt, zwischen den beiden Straßenenden tat sich ein 3m breiter und 5m tiefer Abgrund auf. 
Erdrutsch auf Straße in Baltistan
Nach einer Stunde kam bereits der Bagger, der das Loch mit Felsbrocken und Sand zu füllen begann und 3 Stunden später war Bernd der Erste, der hinüber fuhr!
Bernd wagt die Überfahrt!
Doch nun war es mittags und mir ging es hundsmiserabel. Alle halbe Stunde musste der Bernd halten und ich mir ein Platzerl suchen, wo ich meinen Dünnschiss ablassen konnte – nicht einfach, in einer Felswüste, wo es auf der einen Seite zum rauschenden Fluss, auf der anderen steil die Wand hinauf geht! Aber ich war schon in einem Zustand, wo mir alles egal war... Am frühen Nachmittag war mir dann so elend, dass ich nicht mehr wusste, wie ich mich auf der Maschine halten soll, aber auch in einem Auto hätte ich nicht mehr mit fahren können, ich hatte das Gefühl, ich müsste mich an den Straßenrand legen und sterben. Dann hieß ich den Bernd ganz schnell anzuhalten, kotzte den Kirschsaft in hohem Bogen Richtung Indus – und dann ging es mir besser.
Alles in allem für uns beide ein knochenharter Tag, doch im Sonnenuntergang (also nach 12 Stunden) erreichten wir Gilgit, wo wir im Madina Guesthouse abstiegen. Krank wollte ich nicht zu Auntie, die sich sicher gerne um mich gekümmert hätte, aber ich brauchte die Möglichkeit mich zurück ziehen zu können.

Doch das Madina ist für Pakistan-Reisende quasi ein Familienersatz! Seit 20 Jahren ist es die Oase in Nord-Pakistan, Knoten-/Treffpunkt und Informationsbörse für Traveller, sehr gemütlich in einem Blumenreichen Garten gelegen, der vom Besitzer Yaqoob persönlich gepflegt wird. Und Yaqoob ist ein ganz besonderer Mensch: aus ganz einfachen Verhältnissen kommend hat er sich sein Guesthouse erarbeitet (die Anfänge liegen in einem Fahrrad-Reparatur-Shop und einem Restaurant). Er ist gläubiger Moslem mit einer Vision, die den Aufenthalt im Madina durch dringt und mein Herz wärmt und mit Glück erfüllt, wenn ich daran zurück denke: dass alle Menschen Brüder sind und es nicht zählt, wer welche Religion hat, da die Grundzüge doch in jeder gleich sind. In jedem Zimmer liegt ein Heft mit seinen Überlegungen auf, die kann man sich durch lesen, wenn es einen interessiert oder auch lassen, dann ist es einfach ein normales Guesthouse mit einer besonders netten Atmosphäre.
Mit Yaqoob (neben Susi) und seinen Mitarbeitern

Ich hatte ja dann viel Zeit zum Lesen, denn mein Durchfall erwies sich als hartnäckige Giardia-Erkrankung und blieb mir – in verschiedenen Stadien – für drei Wochen treu. Wir sahen Gäste kommen, gehen und wiederkommen, hatten viele Gespräche mit Yaqoob und seinem studierten Personal (die im Guesthouse arbeiten, weil sie keinen adäquaten Job finden) über Pakistans Gegenwart und Zukunft, allgemeine Weltpolitik und die Zukunft des Madina, wie es weiter gehen kann oder könnte, denn seit 9/11 scheuen sich viele Menschen nach Pakistan zu reisen oder können nicht kommen, weil ihnen (zu ihrem Schutz quasi) keine Visa mehr ausgestellt werden. Yaqoob ist seit 10 Jahren auf Schlingerkurs um den drohenden Bankrott abzuhalten und verkaufte bereits sein Haus und Grundstück, nimmt seine Kinder immer wieder aus der Schule, um mit dem ersparten Schulgeld Strom- oder sonstige Rechnungen zahlen zu können. Trotz all dieser Schwierigkeiten hält er an durch, gibt wirklich alles für seine Gäste.

Anfang August begann der Ramadan, der bei Temperaturen um die 40°C den Gläubigen viel abverlangte. Alle Angestellten des Madina fasteten – natürlich – und bedienten ihre Gäste tagsüber weiterhin mit Getränken und Essen mit der gewohnten Freundlichkeit, obwohl ihnen die Zunge am Gaumen kleben und der Magen knurren musste.
Jeden Abend gab es eine lange Tafel mit Saft, Obst und samosas, zu der auch jeder Gast herzlich eingeladen war.
iftar-Tafel im Madina

Trotz aller Bemühungen – starke Medikamente, Diät, Ruhe – wurde ich einfach nicht gesund. Wir hatten versprochen, das Motorrad über die Berge die 1000km Richtung Süden nach Lahore zu bringen und wollten das auch halten. Und obwohl es mir etwas graute, in dem Zustand auf die Maschine zu steigen, beschlossen wir Mitte August aufzubrechen. Da die Africa Twin nicht dafür ausgerüstet war viel Gepäck zu transportieren statteten wir gemeinsam mit Yaqoob dem Kurierdienst TNT einen Besuch ab, die uns 20kg für € 18 zu Zahid nach Lahore vor schickten.

Mir fiel der Abschied von Gilgit und den lieben Menschen, die wir dort kennen gelernt hatten sehr schwer und es brach mir fast das Herz als ich Auntie, die mich wie eine Tochter behandelt hatte, zum letzten Mal umarmte. 
Der letzte Abend mit meinen pakistanischen Schwestern und Auntie
Abschied auch von den in ihrer Kargheit wunderschönen Bergen: eigentlich hatten wir vorgehabt, von Lahore zurück in den Norden zu kommen und dann noch etwas wandern zu gehen und die Natur zu genießen. Doch das würde sich nun zeit mäßig nicht mehr ausgehen...

Unsere Route führte uns auf dem holprigen Karakorum Highway (KKH) nach Chilas, eine Stadt, in der immer ein heißer Wind fegt, wie in der Wüste. Dann verließen wir den KKH und fuhren hinauf in die Berge, über den 4200m hohen Babusar Pass, wo die Luft schon so dünn wurde, dass die Maschine so stark an Leistung verlor, dass ich schon dachte, ich müsste absteigen, damit der Bernd noch hinauf kommt! Aber wir schafften es noch gerade so, trafen auf dem Pass eine nette Großfamilie, wo die Frauen ausnahmsweise dem Fotoapparat aufgeschlossen waren.
Familie am Babusar Pass
Der Pass war eine Wetterscheide: wir ließen die trockene Steinwüste hinter uns, es wurde kühl und wir fuhren an grünen Weiden und vielen Wasserläufen vorbei, sahen Hirten in ihren Sommerquartieren, Ziegenherden... und schafften es noch vor dem drohenden Gewitter nach Naran zu gelangen.

Den Ramadan haben wir schon in verschiedenen islamisch geprägten Ländern verbracht, doch noch nirgends haben wir eine so strikte Befolgung gesehen, wie in Pakistan! Wir sind es gewohnt, dass die Restaurants tagsüber geschlossen oder aber mit einem Vorhang verhängt sind, so dass man von außen nicht sehen kann, falls dort jemand isst. Und üblicherweise sind die dhabas (einfache Restaurants am Straßenrand) geöffnet, da Reisende vom Fastengebot befreit sind. Verwundert mussten wir jedoch feststellen, dass um uns herum tagsüber alles verrammelt war, nicht einmal Kekse oder eine Flasche Wasser waren erhältlich.
Und dann kommt wieder die Gastfreundschaft ins Spiel: für uns wurde im Hotel bereits am Nachmittag Essen zubereitet, welches wir dann im Zimmer verspeisen konnten; am Straßenrand auf der viel befahrenen GT Road hielt ein Mann an und fragte, ob wir irgend etwas bräuchten, Wasser oder etwas zu essen? Und Auntie war ganz entrüstet, als wir sie tagsüber im Ramadan besuchten und mit der Begründung, wir wollten gegenüber den Fastenden nicht unhöflich sein, nichts zu trinken oder zu essen annehmen: das sei doch ein totaler Unsinn! Und wir mussten vor ihren Augen essen und trinken um sie nicht zu beleidigen...

Weiter führte uns die Fahrt durch das schöne Kagan-Tal mit seinen Bergrücken in den verschiedensten Rot-Schattierungen, 
Tälern von klaren Flüssen durchzogen, hinunter auf den KKH, wo uns der subkon-tinentale Verkehrswahnsinn erwartete, in den wir nur so kurz wie möglich eintauchten: vor Abottabad bogen wir wieder ab, nochmal hinauf in die Berge auf der besten Straße Pakistans – zweispurig, geteert, ohne Schlaglöcher! - flogen wir um die Kurven, hinauf in die kühle Luft, den Nebel, aus dem grüne Tannen heraus lugten. Sehr, sehr schön.

Dann weiter nach Islamabad, durch die Zwillingsstadt Rawalpindi und dann die GT (Grand Truck) Road ostwärts nach Lahore. An unserem letzten Fahrtag verfinsterte sich der Himmel schwarz-blau, mittags war es schon leicht dunkel und wir hatten die Hoffnung schon aufgegeben, es trocken hin zu schaffen. Doch das Wetter hielt und hielt, wir überquerten den Ravi River und blieben stehen um vereinbart Zahid anrufen zu können, den ich wegen des tösenden Verkehrs kaum verstehen konnte. Er versprach, jemanden zu schicken, der uns den Weg zu ihm weisen würde. Während wir warteten realisierte ich, dass wir direkt neben einem Slum standen, Hütten aus Bambusstangen und blauen Plastikplanen errichtet, mit Kochstelle davor, direkt neben dem Fluss. Doch die Menschen waren scheu, kamen nicht zu uns, bettelten uns nicht an und kurz darauf düste auch schon ein Mitarbeiter Zahids auf seinem Moped an. Kaum waren wir los gefahren, begann der Regen. Es schüttete wahrlich wie aus Kübeln, bester Monsun-Regen, innerhalb von einer Minute waren wir bis auf die Haut nass! Und wir unterwegs auf der neuen Ring-Autobahn, die Gischt spritzte und die Sicht war miserabel, so dass beim Bernd nochmal volle Konzentration verlangt wurde, um den Vorfahrer nicht zu verlieren. Endlich bogen wir ab, hinein in die Stadt und dann waren wir auch schnell da.

Zahid umarmte uns strahlend, seine Frau Humaira und Tochter Jeena begrüßten uns auch herzlich, weiße, flauschige Handtücher lagen bereits zum Abtrocknen bereit und dann ging es in die heiße Dusche. Im geräumig aber gemütlichen Haus bekamen wir ein wunderschönes Zimmer mit einem ur-bequemen Bett, eigenem Bad und Klimaanlage. 

Und obwohl ich schon viel von der bislang erlebten Freundlichkeit und Gastfreundschaft erzählt habe, Zahid und seine Familie perfektionierten sie, gaben uns das Gefühl, die wichtigsten, kostbarsten Menschen für sie zu sein, verwöhnten uns mit fantastisch-pakistanischer Hausmannskost (nochmal danke, Humaira!), führten uns in die besten und teuersten Lokale Lahores, zeigten uns die Stadt, nahmen uns mit zu ihren Freunden und verboten uns, irgendetwas selbst zu bezahlen. Bei alledem versprühten sie eine Leichtigkeit, als mache es überhaupt keine Mühe, als sei die Freude ganz auf ihrer Seite und gleichzeitig konnten wir uns dort wirklich ganz zu Hause fühlen, in der temperamentvollen Familie waren wir voll und ganz aufgenommen. 
Welcome Dinner zu unseren Ehren
Vor 5 Jahren hatten wir über einen Monat in Lahore verbracht; ein Fixpunkt in dieser Zeit war für mich der donnerstägliche Besuch der Sufi-Veranstaltungen: nachmittags zum Schrein des Data Ganj dem Qawwali lauschen und am Abend zum dhol Trommeln zum Shah Jamal, dem Schrein eines weiteren Sufi-Babas. Nun musste ich jedoch erfahren, dass im Ramadan kein Qawwali Singen stattfand – das war der erste Moment, in dem es mich wirklich nervte in der Fastenzeit unterwegs zu sein. Und das Trommeln im Shah Jamal sei auch ausgesetzt, aus Sicherheitsgründen... arg!! Doch Zahid wollte mich nicht enttäuscht sehen und meinte, wir sollten es doch einfach mal probieren.

Die Anfahrt zum Schrein machte – neben der allgegenwärtigen Militärpräsenz in der Stadt – nochmal deutlich, wie sehr sich die Sicherheitslage in den vergangenen Jahren verschlechtert hatte: die direkte Zufahrt zum Schrein war nicht mehr möglich, schwere Betonblockaden sorgen nun dafür, dass nur noch Fußgänger durch können. Und verhindern , dass Extremisten mit einem Sprengstoff voll geladenen Fahrzeug bequem vorfahren können (religiöse Veranstaltungen sind leider ein beliebtes Ziel für Anschläge in Pakistan).
Immer für einen Spaß zu haben: Zahid fährt uns in der Rikshaw nach Hause!
Ein paar Männer hatten sich versammelt, die Stimmung war eher ruhig, es wurde ein bisschen musiziert, doch die Darbietung war im Vergleich zu den wild-ekstatischen dhol Veranstaltungen ziemlich mild und nicht das, was ich mir erhofft hatte. Natürlich war ich wieder die einzige Frau, doch auch hier wurde ich wieder sehr respektvoll behandelt, mir ein Kissen gereicht, Tee angeboten und so weiter. Zahid kam mit einem dhol Spieler ins Gespräch und fand heraus, dass später am Abend noch ein richtiges dhol trommeln statt finden würde, in einem Sufi-Schrein am Rande der Stadt. Das waren gute Nachrichten!
Wir luden den dhol wallah zu uns ins Auto und wir fuhren und fuhren, bis wir wieder am Ravi River ankamen. Dort bogen wir in eine schlammige Straße mit Kühen am Rand und vom Gefühl her waren wir nun in einem Dorf angelangt.

Vor dem einfachen Schrein des Babas saß bereits eine Männermenge auf geflochtenen Matten auf dem Boden. Es gab chai und paratha (gebratenes Brot) und Zahid ließ eine große Schachtel pakistanischer Süßigkeiten liefern, welche ganz gerecht unter allen Anwesenden aufgeteilt wurde. Dann begannen die Trommler ihr Spiel, erst langsam, für sich und die Zuhörer zum warm werden dann immer schneller werdend. Mittlerweile hingen schon schwere Marihuana-Schwaden über der Menge und rings um wurde ein Joint nach dem anderen gebaut: eine der wenigen Gelegenheiten für die Männer, mal über die Stränge zu schlagen. Ein paar Sufis waren bereits zum Tanz erschienen, drehten sich im Kreis, stampften mit den Beinen, schüttelten ihre Köpfe.
Sufi in Ekstase

Dann sehe ich zu meiner Verwunderung und meiner Verzückung eine einheimische Frau, das ist aber ungewöhnlich! Und dann beginnt sie auch noch zu tanzen, irgendwas stimmt mit der nicht... Langsam dämmert es mir: hijras sind angekommen, das sogenannte „dritte Geschlecht“, Männer in Frauengestalt die auf dem indischen Subkontinent eine feste Stellung haben, Segen geben und verfluchen können, organisiert und gefürchtet sind. Als ich mich ihnen freundlich nähere, sind sie jedoch sehr aufgeschlossen, scheinen meine Aufmerksamkeit zu genießen und lassen sich auch gerne fotografieren, nur leider ist es mit der Verständigung schwierig. 
Hijra 
Nun wechseln die Trommler, unser dhol wallah geht ans Werk und er ist ein Meister seines Faches! Auch die Tänzer wechseln und geraten sehr schnell in Ekstase. Auf den langen, farbigen Gewändern zeichnen sich dunkle Flecken ab, von den wallenden Mähnen fliegen die Schweißtropfen in die Menge. Einer der Trommler stellt sich zu den Tänzern, beginnt sich selbst zu drehen, so dass seine dhol abhebt, er selbst in Trance zu gehen scheint und doch nie den Takt vergisst, eine faszinierende und mitreißende Darbietung.
Ach, wenn doch nur mehrmals die Woche dhol trommeln wäre!
"Unser" dhol wallah
Ende August wird der neue Mond gesichtet, der Ramadan endet hiermit. Auch wenn ich mich für die Menschen um mich herum freue, dass diese Zeit der Prüfung nun vorbei ist stelle ich aber auch fest, dass ich das tägliche Ritual des iftar (Fastenbrechens) mit Humaira sehr genossen habe, die Feierlichkeit, und das einfache, aber köstliche Mahl nach Sonnenuntergang.
Doch nun wird gefeiert! Das ganze Land hat sich neu eingekleidet – in den letzten Wochen haben die Schneider kaum geschlafen – und in den schönsten shalwar khamiz (traditionelles, pakistanisches Gewand) besuchen sich die Familien und die Kinder streichen Geldgeschenke ein. Natürlich sind auch wir mit dabei und Humaira ist so lieb und großzügig, mir für den Festtag ihren Hochzeitsschmuck aus Gold und Rubinen zu leihen, der perfekt zu meinem neuen shalwar khamiz passt.
Und zur Feier des Tages werden meine Hände noch mit mehndi verschönert!
Die zwei Wochen bei unseren neuen Freunden vergehen wir im Fluge. Doch Anfang September heißt es Abschied nehmen, sind wir doch mit Jüte und Dörthe in China verabredet, um gemeinsam durch Tibet zu reisen.
Die gesamte Familie fährt uns die 300km nach Islamabad, wo wir fünf bei einer Freundin Humairas untergebracht werden, die uns alle in ein schickes Gartenrestaurant ausführt, wo wir nochmal das gute pakistanische Essen genießen.

Zahid bringt uns am Morgen zum Flughafen, aufgrund der verschärften Sicherheitsbestimmungen müssen wir uns bereits draußen Lebewohl sagen.
In diesem Land, das im Westen als Synonym für Terrorismus gilt, ist uns so viel Gutes widerfahren und wir reisen mit einem vollen Herzen ab. Einem Gefühl, so groß, welches auch mit den Monaten nicht weniger wird.
Wir wünschen den Menschen in Pakistan Frieden, eine Regierung, die nicht nur in die eigenen Taschen wirtschaftet und uns, dass wir unsere Freunde in Kürze wohlbehalten wieder sehen können.
Bohut shukria o khuda hafiz! (Vielen Dank und auf Wiedersehen!)



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